Wirkungsorientierte Arbeitsweisen bieten eine gute Möglichkeit, die eigene fachliche Arbeit zu reflektieren und systematisch Wissen über die Angebote der Sozialen Arbeit zu sammeln. Hierdurch kann langfristig ein Wissenskorpus aufgebaut werden, der auch für eine evidenzbasierte Ausrichtung der Sozialen Arbeit genutzt werden kann. Der Blog-Beitrag möchte den Gedanken weiter ausführen. Zugleich möchte er ein Plädoyer für den Aufbau einer Wissensdatenbank in der Sozialen Arbeit und die stärkere Durchführung von Metaanalysen sein.
Wirkungsorientierung vs. Evidenzbasierung
In der Diskussion um Wirkung und Wirksamkeit von Angeboten der Sozialen Arbeit fällt auch immer wieder der Begriff der Evidenzbasierung. Doch was versteht man genau unter diesem? Der Begriff stammt aus der Medizin. Er wird aber auch immer wieder innerhalb der Sozialen Arbeit in die Diskussion eingebracht (vgl. u.a. Lehmann, 2020; Sommerfeld, 2016).
Unter Evidenzbasierung versteht man „die Berücksichtigung und Nutzung der besten verfügbaren Informationen, wenn Entscheidungen getroffen oder Empfehlungen gegeben werden“ (Wirtz, 2019).
Möchte man nun evidenzbasiert in der Sozialen Arbeit handeln, bedeutet dies, dass man Interventionen und Angebote aufgrund von verfügbarem Wissen auswählt. Im Idealfall aufgrund von wissenschaftlichen Studien, Wirkungsnachweisen und Daten. Hierfür müssen aber solche vorliegen. Darin sehe ich aktuell eine Herausforderung, da es häufig noch keine umfassenden Metastudien über die Wirksamkeit von Angeboten und Interventionen in der Sozialen Arbeit gibt.
An diesem Punkt kommt die Wirkungsorientierung ins Spiel. Denn durch diese können die benötigten empirischen Daten erfasst werden. Diese sind die Wissensgrundlage für ein evidenzbasiertes Handeln in der Sozialen Arbeit.
Wirkungsorientierung schafft fachliches Wissen
Wirkungsorientierung hat immer eine fachliche Perspektive (Ottmann & König, 2023, S. 26 ff.). Dies bedeutet, dass eine wirkungsorientierte Arbeitsweise immer eine Reflexion der bisherigen Arbeit bietet und Wissen über die Angebote und Interventionen systematisch erfassen kann.
Dies geschieht in einem ersten Schritt durch die Entwicklung von Wirkmodellen. In diesen werden Wirkannahmen von Angeboten in den verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit dargestellt. Ein Wirkmodell kann damit die Frage beantworten, welche Wirkungen durch ein Angebot oder eine Intervention erzielt werden sollen. Hierbei wird das Erfahrungswissen der Fachkräfte zusammengeführt und durch Erfahrungen von Nutzerinnen und Nutzern der Angebote ergänzt.
Durch die Entwicklung und Implementierung eines darauf aufbauenden wirkungsorientierten Monitorings können dann auch Daten über Effekte bei der Zielgruppe (Veränderungen und Stabilisierungen) erfasst werden. Dies ist die Grundlage für eine Wirkungsplausibilisierung bzw. wenn auch Daten in einer Vergleichsgruppe erhoben werden, für einen empirischen Wirkungsnachweis.
Wenn man diese beiden zentralen Elemente einer wirkungsorientierten Arbeitsweise in einem Angebot der Sozialen Arbeit implementiert, kann man langfristig Wissen über diese Angebote sowie über die eingesetzten Methoden und Interventionen und deren Wirksamkeit erfassen.
Fachliche Steuerung durch Wirkungsorientierung mit einem individuellen Wissenskorpus
Durch dieses Vorgehen können Einrichtungen in ihren Angeboten einen individuellen Wissenskorpus aufbauen. Wird ein wirkungsorientiertes Monitoring langfristig durchgeführt, kann ein Wissensbestand aufgebaut werden, der dann auch für die fachliche Steuerung verwendet werden kann. Dieses Wissen kann vor allem in der wirkungsorientierten Fallsteuerung (Polutta, 2011, S. 374 ff.) genutzt werden. Hier ist das Ziel, dass man die Fallarbeit verbessert, indem man aufgrund von Wissen und Daten die Fälle gezielter in die geeigneten Angebote und Interventionen lotsen kann.
Neben dieser innerorganisatorischen Perspektive sollten aber Erkenntnisse und Daten aus einer wirkungsorientierten Betrachtung von Angeboten in der Sozialen Arbeit auch in einen allgemeinen Wissenskorpus einfließen.
Aufbau eines allgemeinen Wissenskorpus
Daher sollte das Ziel sein, einen allgemeinen Wissenskorpus für die Soziale Arbeit aufzubauen. Dies bedeutet, dass man langfristig eine Datenbank aufbaut, die Wissen über die Wirksamkeit von Angeboten und Interventionen in der Sozialen Arbeit sammelt und zur Verfügung stellt.
Im Bereich der Prävention gibt es mit der Grünen Liste Prävention bereits eine solche Datenbank. Auch in der Medizin und Gesundheitsversorgung gibt es mit der Cochran Library eine umfassende Infrastruktur, in der auch Organisationen in Deutschland eingebunden sind. Mit der Cambell Collaboration gibt es eine Wissensquelle, die den Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik adressiert. Findet man hier auch Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit, besteht aber häufig kein oder nur ein geringer Bezug zur deutschsprachigen Sozialen Arbeit.
Eine allgemeine Datenbank für die Soziale Arbeit in Deutschland (bzw. im deutschsprachigen Raum) gibt es meines Wissens bisher nicht!
Aus meiner Sicht eine große Lücke und auch eine fehlende Voraussetzung, um in der Praxis ein evidenzbasiertes Vorgehen zu ermöglichen. Denn nur durch die systematische Aufbereitung und Bereitstellung von Wissen über die Wirksamkeit von Angeboten, Interventionen und Methoden in der Sozialen Arbeit kann man zukünftig Angebote und Dienstleistungen daran ausrichten.
Mehr Metaanalysen in der Sozialen Arbeit durchführen
Ein zentraler Aspekt beim Aufbau einer solchen Datenbank ist auch die systematische Durchführung von Metaanalysen.
„Eine Metaanalyse fasst im Sinne der Forschungssynthese (‚research synthesis‘) die Ergebnisse einzelner empirischer Untersuchungen zusammen.“ (Döring, 2023, S. 874)
Mit der Durchführung solcher Studien kann man eine valide Aussage über die Wirksamkeit von Angeboten und Interventionen machen. Durch den Einbezug verschiedener empirischer Studien, die die gleiche Fragestellung untersucht haben, überprüft man, ob diese Studien zu ähnlichen Ergebnissen kommen und sich unterscheiden.
Da hierdurch Aussagen über die Wirksamkeit erhöht werden können, sollten zukünftig auch verstärkt Metaanalysen in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit in Deutschland durchgeführt und die Ergebnisse veröffentlicht werden. Hierzu wäre es hilfreich, wenn einheitliche Indikatorensets für Angebote und Arbeitsfelder vorliegen, die man im Rahmen einer Fremd- und Selbsteinschätzung in wirkungsorientierten Monitorings einsetzen kann. Werden dann von mehreren Trägern Daten erhoben, können diese in einer übergreifenden Metaanalyse eingesetzt werden. Die Entwicklung solcher einheitlichen Indiaktorensets sollte Ziel von Praxis und Wissenschaft sein.
Strukturelle Verankerung ist nötig
Um einen systematischen Wissenskorpus bzw. eine Wissensdatenbank für die Soziale Arbeit aufzubauen und betreiben zu können, wird es aber auch eine strukturelle Verankerung benötigen. Das skizzierte Vorgehen und die Teilschritte – die Entwicklung von Ankerwirkmodelle, die Entwicklung ein einheitlichen Indiaktorensets für ein wirkungsorientiertes Monitoring, die Durchführung von Metaanalysen und der Betrieb einer frei zugänglichen Datenbank – wird nicht über Projektfinanzierungen allein finanzierbar sein.
Vielmehr muss eine Struktur geschaffen werden, dass zukünftig die aufgeführten Aufgaben auch langfristig mit einer sicheren Finanzierung und entsprechenden Ressourcen durchgeführt werden können. Ein möglicher Schritt könnte hier – ähnlich wie bei der Cochran Library – der Aufbau eines Forschungsnetzwerks sein, das über eine strukturelle Förderung die entsprechenden Aufgaben übernimmt und einen Wissenskorpus für die Soziale Arbeit aufbaut und betreibt.
Fazit
In den letzten Jahren haben die Wirkungsorientierung und die Frage nach der Wirkung und Wirksamkeit von Angeboten in der Sozialen Arbeit zugenommen. Die Umsetzung erfolgt bisher in einzelnen Organisationen der Sozialen Arbeit, die dieser Frage aktiv nachgehen. Durch gesetzliche Änderungen, wie in der Eingliederungshilfe, gibt es aber auch allgemein eine stärkere Hinwendung zur Frage nach der Wirkung und Wirksamkeit von Angeboten und Interventionen.
Dieses Potenzial sollte man nutzen, um langfristig einen Wissenskorpus aufzubauen. Gerade Organisationen, die bereits Daten im Hinblick auf die Wirkung und Wirksamkeit erfassen, könnten diese als anonymisierte offene Daten teilen. Es erscheint daher sinnvoll, in einem ersten Schritt zu erfassen, in welchen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit bereits wirkungsorientierte Daten systematisch erfasst werden.
Langfristig ergeben sich aus einem Wissenskorpus für die Soziale Arbeit Vorteile: So kann nicht nur die Wirksamkeit von Angeboten, Methoden und Interventionen in der Sozialen Arbeit nachgewiesen werden, sondern auch die individuelle Fallsteuerung evidenzbasiert erfolgen. Auch bei der Entwicklung von neuen Angeboten kann auf die Daten und das Wissen zurückgegriffen und geeignete Interventionen und Methoden bei neuen Angeboten ausgewählt werden.
In diesem Sinn: Lasst uns mit Wirkungsorientierung einen Wissenskorpus für die Soziale Arbeit aufbauen!
Mich würde natürlich auch interessieren, was die Leser:innen dieses Blogs zu dieser Vision denken. Gerne könnt ihr eure Gedanken in den Kommentaren schreiben oder mit mir direkt Kontakt aufnehmen.
Literatur
- Döring, N. (2023). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften (Springer-Lehrbuch) (6. Auflage). Berlin: Springer.
- Lehmann, R. (2020). Evidenz als Basis der Profession. Soziale Arbeit, 69(6), 217–223.
- Ottmann, S. & König, J. (2023). Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung für Studium und Praxis (Grundwissen Soziale Arbeit) (1. Auflage, Band 45). Stuttgart: Kohlhammer Verlag.
- Polutta, A. (2011). Wirkungsorientierte Steuerung sozialer Dienste. In H.-J. Dahme & N. Wohlfahrt (Hrsg.), Handbuch Kommunale Sozialpolitik (S. 372–382). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92874-6_28
- Sommerfeld, P. (2016). Evidenzbasierung als ein Beitrag zum Aufbau eines professionellen Wissenskorpus in der Sozialen Arbeit. In S. Borrmann & B. Thiessen (Hrsg.), Wirkungen Sozialer Arbeit. Potentiale und Grenzen der Evidenzbaiserung für Profession und Disziplin. (1. Auflage, S. 21–41). Opladen, Berlin & Toronto: Verlag Barbara Budrich.
- Wirtz, M. A. (2019). Evidenzbasierung. In M.A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch Lexikon der Psychologie. Bern: Hogrefe. Zugriff am 25.7.2022. Verfügbar unter: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/evidenzbasierung

Ich arbeite als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Praxisforschung und Evaluation der Evangelischen Hochschule Nürnberg und leite dort das Kompetenzzentrum Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit. Ich begleite soziale Organisation bei der Implementierung von wirkungsorientierten Arbeitsweisen und dateninformierten Handeln. Zu meinen weiteren Arbeitsschwerpunkten gehört die Durchführung von Wirkungsanalysen und Evaluation mit empirisch-quantitativem Schwerpunkt. Seit mehreren Jahren beschäftige ich mit den Themen Wirkungsorientierung, Wirkungen Sozialer Arbeit, Datenanalyse, Machine Learning, Data Science und dem Aufbau von Datenkompetenz in Organisationen. Und statistische Auswertungen mache ich am liebsten in R und Python 😉 Mehr Informationen zu meiner Person findet man auf meiner Homepage.
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